NEUSTADT AN DER WEINSTRASSE

Laurus Nobilis: Chapters on Art and Life

08.06. – 31.08.2025

☞ WEINGUT MÜLLER-CATOIR

Die vierte Ausstellung des nomadischen Programms GENIUS LOCI. NOTES ON PLACES des Kunstverein Ludwigshafen bezieht sich auf Vernon Lees Text Laurus Nobilis: Chapters on Art and Life (1909) und befasst sich mit dem Zusammenspiel von Schönheit, Kunst und menschlicher Erfahrung. Mit der Platzierung der Arbeiten von Elena Njoabuzia Onwochei-Garcia, Gideon Horváth, Germain Marguillard und Panos Profitis auf einem der ältesten Weingüter des Landes Rheinland-Pfalz, Müller-Catoir, rückt die Ausstellung eine sinnlich genussvolle Wahrnehmung der Kunst in den Vordergrund.

Das Kernstück der Ausstellung ist Elena Njoabuzia Onwochei-Garcias Arbeit Quixotic (*1996, lebt und arbeitet in Glasgow) im hinteren Raum. Inspiriert von Miguel de Cervantes Roman Don Quijote aus dem Jahr 1605, untersucht Onwochei-Garcia in ihrer großformatigen, raumgreifenden Papierarbeit den Konflikt zwischen Chaos und Idealismus sowie die Dissonanz, die entsteht, wenn geordnete Erwartungen an die Welt auf eine turbulente Realität treffen. In dem Roman verliert sich ein alter Mann in die verzauberten Visionen ritterlicher Fantasien seiner Bücher. Er beschließt, ein fahrender Ritter zu werden und begibt sich auf eine fantastische Reise durch das Spanien des 17. Jahrhunderts. Die Welt des Don Quijote ist absurd. Er weigert sich, sich mit der Realität auseinanderzusetzen und erschafft stattdessen in seiner Fantasie eine eigene Welt, in der er die banalen, alltäglichen Aspekte des Lebens in grandiose, fantastische Illusionen verwandelt. Für Onwochei-Garcia bietet Don Quijotes seltsame, von Trugbildern verzerrte Sicht auf die Welt eine Möglichkeit, unsere beobachtbare Realität zu hinterfragen und zu sezieren. In Onwochei-Garcias riesigen Gemälden dienen mythologische Figuren, groteske Formen und sich verschiebende, verschwommene Perspektiven dazu, die undurchsichtige, dünne Fassade der Linearität, Kontrolle und Objektivität abzutragen und Fragmentierung und unvorhersehbares Chaos zum Vorschein zu bringen. Auf der Außenseite der Arbeit zeichnen sich abstrahierte Spiegelbilder der Figuren im Innenraum ab. In Quixotic schafft die Künstlerin mit ihren installativen Malereien eine verwirrende, konstruierte Realität aus verzerrten Gestalten, als würden die Betrachtenden durch die Augen von Don Quijote selbst blicken. Ihre großformatigen Gemälde auf Papier – die uns bereits in Ludwigshafen und Speyer begegnet sind – hängen von derDecke und bilden eine Architektur aus Malerei, die zum Eintreten einlädt: Es entsteht ein beengter, klaustrophobischer Raum, der die Betrachtenden in die alternative, traumhafte Unwirklichkeit der Gemälde eintauchen lässt.

In seinen Werken Opulence, you own everything! und Vase of Virulence and its Offspring setzt sich Gideon Horváth (*1990, lebt und arbeitet in Budapest) mit einer zeitgenössischen Darstellung der mythologischen Welt auseinander. Der Künstler widmet sich insbesondere bacchantischen Themen. So ist Opulence, you own everything! eine Anspielung auf das Füllhorn der römischen Fruchtbarkeitsgöttin Ops. Während das Füllhorn vor Reichtümern der Natur wie Feigen, Kapern, Paprika und Froschschenkeln überquillt, bricht es gleichzeitig mit der scheinbaren Idylle: Metallketten umschlingen die aus Bienenwachs geformte Skulptur, die in prekärer Balance von der Decke herabhängt und so ein unsicheres Gleichgewicht suggeriert. In Horváths Arbeiten ist eine Auseinandersetzung mit der Umwelt omnipräsent –dies spiegelt sich im Sujet und insbesondere in der Materialwahl des Bienenwachses wider. Ein ungewöhnliches, weiches Material, das durch seine reiche Farbe und seinen unverkennbaren Duft die künstlerische Praxis Horváths bestimmt. Seine bewusste Wahl lässt in jeder seiner Arbeiten einen Bezug zu ökologischen Krisen mitschwingen. Durch ihren rapiden Rückgang sind Bienen, als einer der verletzlichsten und zugleich wichtigsten Akteure in unserem Ökosystem, zum Symbol einer bedrohten Umwelt geworden. Die beiden Werke Horváths stehen in engem Zusammenhang mit Lees Schriften, da der Künstler sich auf sinnliche Erfahrungen – wie Geruch und Farbe des Bienenwachses – konzentriert und Schönheit und klassische Formen nutzt, um einen zeitgenössischen Diskurs über Umweltkrise und Verfall zu führen. Die Hervorhebung der Ästhetik in Horváths Arbeiten, mit dem Ziel den Betrachtenden schwierige Themen zu vermitteln, steht in engem Zusammenhang mit Lees Theorie über den Wert der Schönheit.

Germain Marguillards (*1997, lebt und arbeitet in Paris) im ersten Raum gezeigte Skulpturen widmen sich ebenfalls Naturdarstellungen. Nach seinen monumentalen Arbeiten in Speyer und einer mystischen Arbeit in Ludwigshafen zeigt diese Ausstellung zwei kleinere Werke des Künstlers. Marguillard bezieht sich in diesen auf wissenschaftliche Pflanzenzeichnungen, mythologische Quellen und setzt diese in natürlichen Materialien wie Ton und Holz in skulpturaler Form um. Ähnlich wie für Horváth ist für ihn die Symbolik der Formen ebenso bedeutend wie die der Materialien: Marguillards Arbeiten in gebranntem Holz, schwarzem Ton und Stein erinnern an antikes Handwerk. Die ornamentalen Details der Skulpturen tauchen erst bei näherem Herantreten aus dem Schwarz auf und durchbrechen den ersten Eindruck einer minimalistischen und monolithischen Abstraktion.

Panos Profitis (*1988, lebt und arbeitet in Athen) hebt die historische und mythologische Dimension ästhetischer Fragen in den Vordergrund, indem er sich auf die hellenistische griechische Kultur und moderne industrielle Materialien bezieht. Profitis' Relief true to his own spirit aus Aluminiumguss verbindet das Motiv eines männlichen Profils mit dem einer kauernden, dämonischen Kreatur, die diesem innewohnt. Das Portrait zwischen Schönheit und Groteske verbindet zeitlose Referenzen mit modernen Materialien und schafft einen Dialog zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem. Die Verschmelzung von Schönheit und Unheimlichem, erlaubt es Profitis – ähnlich wie Horváth – die enge Verbindung zwischen Opulenz und Verfall hervorzuheben. Alle vier Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung auf dem Weingut Müller-Catoir beziehen sich in ihren Werken explizit auf kunsthistorische Formensprachen, um zeitgenössische Themen mit einer scheinbar zeitlosen Sensibilität zu behandeln.