Jenny Michel

Jenny Michel

Trash Thought Chronicles
31. Januar - 6. April 2015

Yesterday’s World has come to an end, the World of Tomorrow is dirty in outline
Mit einer ersten großen institutionellen Einzelausstellung präsentiert der Kunstverein Ludwigshafen das Werk der in Berlin lebenden Künstlerin Jenny Michel. Für die 500 qm große Ausstellungshalle hat Jenny Michel eine raumgreifende Installation konzipiert, die sich im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichen Inventionen, utopischen Gedanken und der Allgegenwart des Mülls bewegt. Für Jenny Michel definiert sich eine Gesellschaft besonders durch ihre immense Produktion von Abfall, wobei die Künstlerin unter Abfall nicht nur den eigentlichen Müll versteht. Es ist der ganze "Trümmerhaufen der Geschichte" wie es Walter Benjamin formulierte, zu dem Jenny Michel genauso auch Schrott, Artefakte, Ruinen, wissenschaftliche Theorien und Gedanken bis hin zu Sounds zählt. "Genauso wie Staub ist Abfall das, was am Ende von der Menschheit übrig bleiben wird und so wie alles andere auch, werden die Utopien schließlich zu Grabe getragen – oder durch unseren Abfall erstickt", so die Künstlerin. 

Über viele Jahre hat Jenny Michel ein immenses Archiv an wissenschaftlichen Zeichnungen, biologischen und technischen Darstellungen, insbesondere alte Schaltpläne gesammelt. Ihr bevorzugter Werkstoff ist Papier, das sie ebenso wie Kartonabfälle in verschiedensten Sorten verwendet. Dazu kommen Plexiglas, Folien, Klebebänder, Heftnadeln und Materialen aus dem industriellen Bereich, die sie Schicht für Schicht zum Teil in Form kleinster Partikelchen übereinander lagert und fixiert. Nichts wandert bei ihr in den Müll auch die kleinsten Reste von alten Arbeiten, Papier und Folienabfälle, jeder noch so unbedeutende Schnipsel dient ihr als Material für neue Arbeiten. 

Ihre eigens für die Ausstellungshalle des Kunstvereins Ludwigshafen konzipierten Installation besteht aus drei Teilen, die sich vom Boden über die Wände bis zur Decke hin ausbreiten. Auf dem Boden zerstreut liegen zahlreiche Skulpturen; sie erinnern an weggeworfene, kaputte Gegenstände, an Wrackteile alter, gestrandeter Schiffe. Ihre Oberflächen sind übersät mit Cut-outs, Fetzen wissenschaftlicher Darstellungen, Schaltplänen, Schemata und Konstruktionszeichnungen. Es scheint, als wären sie begraben unter der Last an Informationen, sie sind sozusagen an ihrem eigenen Gedankenmüll erstickt. Wie ein riesiges Trümmerfeld der Ideen, welches nutz- und wertlos geworden ist, fristen sie ein sinnloses Dasein. 

Dieser Gedankengrus (Schutt, Schrott) überzieht nicht nur die Skulpturen auf dem Boden, sondern erstreckt sich weiter an den Wänden hinauf, um sich dort zu kartenartigen Reliefs zu agglomerieren. Auch die Deckenkonstruktion der Ausstellungshalle wird in die Installation miteinbezogen: Ein Meer von unzähligen dünnen Klebestreife hängt über den gesamten Raum verteilt von der Decke bis zum Boden. Auf ihnen haften Textspuren, die Zeile für Zeile aus Lexika und Fachliteratur herausgerissen wurden. Wie ein Gedankenregen löst sich das in veralteter Buchform gespeicherte und angesammelte enzyklopädische Wissen vor den Augen des Betrachters auf. 

Jenny Michel hat eine in ihrem Detailreichtum und ihrer Materialfülle geradezu überbordende und beeindruckende Installation geschaffen. Assoziationen von geschichtlichen, technischen und philosophischen Fragmenten bilden eine komplexe Erzählung von Wissen, Glauben, Utopie und Müll. 
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog. 

Jenny Michel (*1975) studierte an der Kunsthochschule Kassel bei Prof. Norbert Rademacher, Prof. Bjørn Melhus und Prof. Ursula Panhans-Bühler. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen präsentiert, darunter "Schloßgeist" in der Städtischen Galerie Wolfsburg 2014, "System und Sinnlichkeit", Kupferstichkabinett Berlin (2013) "Drawing a Universe", KA/10, Düsseldorf. Sie wurde 2010 mit dem HAP-Grieshaber-Preis ausgezeichnet und war 2008 EHF Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung.