Stefan Moses

Stefan Moses

Meister des Fotojournalismus
25. April – 27. Juni 2004

Konzeption und Organisation: Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum
Stefan Moses (*1928 im schlesischen Liegnitz, † 2018 in München), gehört zweifellos zu den bedeutendsten deutschen Photographen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Neben seinen Reportagen für Zeitschriften wie Das Schönste, Revue, magnum und seit 1960 für den Stern reüssierte er insbesondere durch seine freien Projekte, in denen er Konzept- und Lifephotographie zu einer charakteristischen Bildsprache verband. Seit den sechziger Jahren entstanden so mehrere Bücher mit Bildnissen und in Bildsequenzen: "Manuel" (Hamburg: Wegner, 1967), "Transsibirische Eisenbahn" (München: Prestel, 1979), "Deutsche" (München: Prestel, 1980), "Abschied und Anfang - Ostdeutsche Porträts" (Ostfildern: Cantz, 1991) oder "Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft" (München: Pres tel, 1998).
Dem Porträt als photographische Gattung und gleichzeitig als facettenreiches psychologisches Abbild der deutschen Gesellschaft blieb er bis heute treu. "Deutschland und die Deutschen" wurde schließlich zu seinem Lebensthema. Seine großangelegten Bildzyklen spiegeln die soziale und kulturelle Entwicklung der Bundesrepublik wider, insbesondere das Projekt "Ostdeutsche Porträts" aus den Jahren 1989 und 1990 kann als wichtigste photographische Arbeit über den Prozess der deutschen Wiedervereinigung angesehen werden. Sein gesamtes Bildwerk, ein "Synonym für Photographie in Deutschland" (Claus Heinrich Meyer), ist ein bedeutender Diskussionsbeitrag zu dem Phänomen der deutschen Identität.
Moses porträtiert seit nunmehr vier Jahrzehnten - stilistisch in der Tradition der Wanderphotographen - die Deutschen: Alte und Junge, Künstler und Intellektuelle, Arme und Reiche, ihre Wohnungen und Feste, deutsche Vereine und Schulen - und wurde so zu dem Chronisten und Porträtisten der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Sein Vorgehen ist denkbar einfach: Unbekannte und prominente Bürger in Köln, Büsum oder Dachau werden vor einem mitgeführten grauen Filztuch festgehalten: der neutrale Hintergrund gerät zur Bühne, Körperhaltungen wirken symbolisch. Der Mensch wird seiner vertrauten Umgebung entrückt und - in der Rezeption als Bild - sein gesellschaftlicher Standort neu bestimmt. Diese Porträts sind individuelle Studien von großer Allgemeingültigkeit, es sind die "kürzesten Opern oder Operetten, die je geschrieben wurden" (Wolfgang Kemp).
Moses nähert sich seinen Landsleuten in Ost und West mit analytischem Gespür und liebevoller Zuneigung. Sein photographischer Blick auf die Zeitgenossen ist sensibel, neugierig und forschend. Seine typologischen Porträts führen die früheren systematischen Bildserien eines August Sander oder Irving Penn in der Hinterfragung gängiger Posen weiter und bleiben so sehr eigenständig. Einerseits animiert Moses die deutschen Intellektuellen, sich vor einem Schneiderspiegel selbst zu photographieren, andererseits hinterfragt der Menschenkenner seine Zeitgenossen mit großem psychologischen Gespür jenseits der Oberfläche des rein Physiognomischen.
Die Liste der von Moses Porträtierten liest sich wie ein who is who der deutschsprachigen Geistes- und Kulturelite: Theodor W. Adorno, Ingeborg Bachmann, Ernst Bloch, Heinrich Böll, Willi Brandt, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Günter Grass, Walter Jens, Erich Kästner, Thomas Mann, Ludwig Meidner, Bernhard Minetti, Alexander Mitscherlich, Carl Orff, Botho Strauß, Martin Walser, Peter Zadek u.v.a.m.
Die Vielseitigkeit der dokumentierten Zeitereignisse und der porträtierten Persönlichkeiten des kulturellen Lebens in Deutschland ist ohne Vergleich. Seine befreundeten Kollegen vom Stern, beispielsweise Robert Lebeck, Thomas Höpker oder Max Scheler, waren - insbesondere in den sechziger Jahren - eher mit Bildreportagen im Ausland beschäftigt. Moses dagegen war - neben wenigen Reisen nach Südamerika, Australien, Israel oder innerhalb Europas - am liebsten in Deutschland, dem "interessantesten Land der Welt" (Moses), unterwegs.
Vielfach ausgezeichnet, ausgestellt und publiziert, zählt dieses konstante, bis heute nicht abgeschlossene Bildwerk auch international zu den herausragenden Erscheinungen der deutschen Photographie nach 1945.
Die geplanten zehn Kapitel, welche Retrospektive und Monographie gliedern werden, zeichnen einerseits die Lebensstationen von Stefan Moses nach und fokussieren andererseits das selbst gestellte Lebensthema: Die Deutschen.

1. Die Deutschen in Ost und West
Dieses Kapitel vereint Porträts von bekannten und unbekannten Zeitgenossen aus den sechziger Jahren bis heute, aus den Serien der "Vorhangporträts" ("Deutsche", 1980) und der "Ostdeutschen Porträts" ("Abschied und Anfang", 1991).

2. Manuel: Eine deutsche Kindheit
"Manuel" ist der Titel eines einflußreichen und auflagenstarken Buchprojekts, das 1967 als eine der ersten Publikationen in Bildsequenzen erschien. Es avancierte schnell zum Kultbuch der 68er Elterngeneration. Moses schildert ein Jahr der Kindheit seines Sohnes Manuel in München und Oberbayern in einfühlsamen, poetischen Bildgeschichten.

3. Zeitzeugen: Die großen Alten
Für seine Serie "Die großen Alten" wählte Stefan Moses den "deutschen" Wald als Schauplatz. Seit den sechziger Jahren entstanden an diesen mythenreichen, magischen Orten einzigartige Bildnisse von deutschen Geistesmenschen: von Politikern, Schriftstellern und Künstlern.

4. Künstler machen Masken
Der Photograph bittet seit mehr als drei Dekaden Maler, Bildhauer und einige Kollegen, sich spontan aus den im unmittelbaren Kontext zur Verfügung stehenden Materialien eine Maske zu machen. Mit dem Bildnissen des Bildhauers Gerhard Marcks und des Malers Ernst Wilhelm Nay begann 1964 dieser Bildzyklus, der bis heute weitergeführt wird - eine photographische Dokumentation der Verhüllung, Verdopplung und Isolierung.

5. Spiegelbilder
Deutsche Philosophen und Denker photographierten sich vor einem mitgeführten Schneiderspiegel selbst. Moses blieb als ideengebender Regisseur im Hintergrund. Seine umfangreiche, konzeptuelle Bildserie fand ihren vorläufigen Abschluß 1998 in der Ausstellung und begleitenden Publikation "Jeder Mensch ist eine kleine Gesellschaft".

6. Deutsche Gesellschaft
Stefan Moses interessiert sich als Photojournalist für alle Schichten der deutschen Gesellschaft, die Arbeiter und Arbeitgeber, die so genannten Blumenkinder wie für die Klientel der Bayreuther Wagner-Festspiele. Hinzu kommen die "gefundenen Bilder" (Moses) der deutschen Feste und Vereine.

7. Begegnungen: Paarweise
Den zwischenmenschlichen Beziehungen, den Verhältnissen zwischen den Paaren spürt der Photograph seit nunmehr einem halben Jahrhundert nach. Vom paarweisen zärtlichen Miteinander bis zu spannungsvollen Paarungen auf der Theater- und Weltbühne kreist der Bogen dieses Kapitels.

8. Seelenlandschaften: Die Sequenzen
Stefan Moses zählt nach 1945 zu den wenigen Photographen, die seit den sechziger Jahren konsequent Photoessays erarbeitet und publiziert haben. Dieses Bildkonzept mündete 1979 in der richtungsweisenden Publikation "Transsibirische Eisenbahn", in der er 26 Photogeschichten menschlicher Begegnungen in bildhaften Metaphern erzählt.

9. In Israel
1960 besuchte Moses im Auftrag des "Stern" Israel zum Eichmannprozess. Auf wiederholten Reisen entstanden eindrucksvolle Reportagen vor und nach dem Sechstage-Krieg, von Israelis und Palästinensern oder der nordafrikanischen Immigration. Mitte der siebziger Jahre ging er einem selbst gewählten Thema nach: der Existenz von Juden in Deutschland, die als photographische Untersuchung angelegt auch der eigenen jüdischen wie deutschen Identität nachspürt.

10. Unterwegs: Die gefundenen Bilder
Stefan Moses ist Spurensucher. Seit 1953 photographiert er die Welt und betreibt so Feldforschung auf Reisen. Dieses Kapitel vereint seine Reportagen der fünfziger und sechziger Jahre aus New York, Südamerika, Italien, England, Österreich und vom Ungarnaufstand 1956.